Düsseldorf, ein nördlich gelegener Vorort von Köln, macht fehlenden Charme seit jeher durch dicke Brieftaschen wett. Jüngster, untrüglicher Beweis für diese These: Kaum angekommen – war übrigens ein Versehen – und was sehe ich: einen Rolls Royce protzigster Bauart. Von wegen Pecunia non olet. Dieser rollende Raging Bull gibt sich bei näherer Betrachtung als Modell Ghost II zu erkennen – als hätte ein böser Geist nicht schon genügt. Diesen Ghost hatte Goethe damals wohl visionär vor seinem getrübten Klassikerauge, als er was von Geistern, die er rief, aber dann nicht mehr los wurde, deklamierte.
Zum Glück bin ich kein Zauberlehrling und verzaubern tut dieser tonnenschwere Ghost – Leichtfüßigkeit und Finesse Fehlanzeige – mich ganz sicher nicht. Britische Autos lassen mich ohnehin eher kühl bis kalt, ich trinke auch keinen Earl Grey: not my cup of tea. Nun gut, gegen den Jaguar E-Type kann man nicht viel sagen, beim Jensen Interceptor oder Marcos GT 3000 wäre sogar verhalten lebhafter Applaus denkbar. Doch bei James Bond und seinem Aston Martin – der nächste, muffig riechende Männermythos Made in England – oder beim Bentley, da regt sich weder emotional noch überhaupt irgendetwas in mir.
Viel Gewese gibt es seit jeher um die Kühlerfigur des Rolls-Royce. Die ist aber, liebe Freunde des Nebels und Nieselregens, beileibe kein Engel, sondern vielmehr eine Frau mit wehendem Kleid, eine Handbreit hoch und nur luftige 223 Gramm leicht. Dieses frühe Opfer des Schlankheitswahns heißt aber nicht etwa, wie viele zu wissen glauben, Emily – Faux pas Numero zwo – sondern Spirit of Ecstasy. Sie erblickt am 6. Februar 1911 das Licht der Welt: auf den Kühlern besagter Automobilmarke und als zukünftige Galionsfigur aller Technofreunde, die 80 Jahre später mit der Droge gleichen Namens viel Freude haben.
„Nach hundert Jahren ist ein Rolls-Royce ohne Spirit of Ecstasy genauso unvorstellbar wie London ohne den Tower“, schreibt vor kurzem DER SPIEGEL, dem ich, zugegeben hochsubjektiv, eine fehlgeleitete Anglophilie unterstelle. Und so richtig britisch ist das Ganze ja schon längst nicht mehr, schwingen doch seit mehr als 25 Jahren die Bayerischen Motorenwerke bei Rolls-Royce das Zepter. Was für ein wohlplatzierter, schmerzhafter Leberhaken auf den wohlbeleibten Korpus des perfiden Albion. Wohin man schaut: wirre Namen, schiefe Bilder, morbide Mythen.
Wir sind alle keine Engel, alle Engel haben Flügel, aber nicht alles, was Flügel hat, ist ein Engel. Das gilt dann automobil nicht nur für die Spirit of Ecstasy, sondern zum Beispiel auch für das Flying B von Bentley, den Eagle alter Chevrolet-Modelle oder den wunderbar eleganten Kormoran von Packard.
Mein persönlicher Lieblingsengel für immer und ewig ist, rein äußerlich, übrigens auch keiner. Sie präferiert als Outfit eher schwarzes Leder, doch als Schutzengel aller Schwachen und Verfolgten in einem hochaktuell dystopischen Amerika hat sie genau das, was ein Engel haben sollte: ein großes Herz. Die Rede ist hier von Max Guevara, der ebenso schlagstarken wie hybriden Heldin aus der Serie Dark Angel, gespielt von der göttlichen Jessica Alba. Engel brauchen schließlich einen Himmel: Imagine there’s no heaven! Der dunkle Engel Max ist für vier Räder allerdings nicht zu haben: Wenn sie die Unrast packt, setzt sie sich einfach auf ihre schwarze Kawasaki Ninja ZZR-250 und zeigt den Verfolgern die Rücklichter.
Manfred Luckas