Menschen wie ich, die ihr Auto lieben, es aber trotzdem nicht in einer Garage stehen haben – so etwas gibt es in der Stadt nämlich nicht – sind öffentliche Menschen. Für sie und ihre Autos gibt es keine Intimität, keine schönen Stunden inniger Zweisamkeit in den engen, benzingetränkten vier Wänden, eine davon ein Metalltor für ab und zu auf und zu. Stattdessen wird man bei allem, was man mit seinem Auto so macht, auf Straßen, Parkplätzen und im Stau, besinnungslos bewertet, beschimpft und rund um die Uhr manisch beobachtet: Ich nenne das Voyeurismus.
Aber alles in, um, unter und auf dem Auto wäre ja nicht so spannend, wenn es nicht so janusköpfig wäre, denn nur da, wo wir mit unseren Autos gesehen werden, leben wir. Die automobile Aura braucht kein Bluetooth, sie ist per se das Lagerfeuer für die moderne Urhorde – das wird auf der ganzen Welt verstanden. Kaum ein Mensch, der im Guten wie im Schlechten nichts dazu sagen könnte. Kurz und gut: Auto-Small-Talk ist eine Lingua franca wie Wetter, Essen, Fußball und natürlich die Liebe.
Zu den sakralen Handlungen am Auto gehört es, regelmäßig-rituell den Ölstand zu überprüfen und dann genussvoll und voller Bedacht das göttergleiche Ambrosia nachzufüllen, auf dass unseren Lieblingen ewige Jugend und Unsterblichkeit beschieden sei, fernab von Altersrostfraß und finaler Schrottpresse.
Auch bei meinem Chevy Spark ist es mal wieder so weit. Also packe ich einen frischen 5-Liter-Kanister 5-W-30 Castrol nebst knalloranger Ölkanne in Mutters alte Esprit-Einkaufstasche und pilgere zum Ort der nächsten Kalker Ölung. Alles in Reichweite: Acht Stunden sind kein Tag, fünf Minuten fußläufig keine Weltreise.
Ankommen, ausruhen, Motorhaube auf, Einfüllstutzen justieren, Ölkanister auf. Kurze Zeit später, im Rücken, leicht links versetzt, die lakonische Anfrage von, wie ich wenig später erfahre, Herrn Yilmaz: „Was für ein Auto, Amerikaner?“ Ich bejahe, hochkonzentriert in der Befüllung begriffen. Und dann noch einmal The Man himself: „Viel Verbrauch!“ Kopfnicken meinerseits, leider nichts dagegen zu sagen. Wieder Herr Yilmaz, gut in Form, mittlerweile mit Zigarette: „Gleich noch da?“ Drittes Bejahen meinerseits bei simultaner Verschraubung des Öldeckels. Gar nicht so leicht: Männer, die todmüden Heroen des Multitasking. Ansonsten aber alles drin, nichts daneben, gut geölt heißt gutes Gefühl nach getaner Arbeit.
Ich setze mich im Seniorenmodus – Jahrgang 65 – auf die halbrunde Bank nebenan, schaue versonnen auf einen kleinen Ölfleck unter meinem rechten Fingernagel und denke über den Unsinn fossiler Brennstoffe nach. Genau im richtigen Moment kommt Herr Yilmaz wieder aus dem Haus gelaufen, zweite Zigarette im Mundwinkel, zwei Gläser Tee in der Hand, eines davon für mich: „Und, Auto läuft?“
Mit Garage wäre das nicht passiert.
Manfred Luckas